"Alles zu dokumentieren, kann teuer sein, es kostet mehr, als was dabei herauskommt. Man muss also eine einfache und schöne Lösung finden, die auch in der Zukunft gut funktioniert."
Torfinn Tobiassen, Manager im Flight Structures Department bei Konsberg

Es mag leicht klingen, aber die Herausforderung ist enorm: Wie speichert man die Dokumentation in langen und komplexen Projekten in einer Weise ab, dass langfristig ein einfacher Zugriff auf relevante Informationen gewährleistet ist? Das norwegische Rüstungsunternehmen Kongsberg Defence and Aerospace (KDA) will die Antwort finden – Mithilfe von PLM und einem Sommer-Projektseminar für Studierende.

Projekt “Local Hawk”

„Probieren wir mal, wie es jetzt fliegt”, sagt einer der 20 Studenten der Ingenieurwissenschaften, die am jährlich stattfindenden Projekt “Local Hawk” von Kongsberg Defence Aerospace teilnehmen. Er ist einer von Hunderten von Studierenden, die sich um die Teilnahme an dem 7-wöchigen Projekt beworben haben. In den Händen hält er ein von seinem Team entwickeltes Flugzeug im Kleinformat, das einen Senkrechtstart hinlegen soll.

Es ist ein sonniger Tag auf einem Feld in der Nähe von Oslo. Die Aufregung ist zu spüren. Wie wird es sich verhalten?

Für die Studierenden ist Local Hawk ein spannendes Erlebnis und eine anspruchsvolle Herausforderung. Für den Hersteller von Rüstungsgütern stellt es gleichzeitig eine Möglichkeit dar, Talente zu rekrutieren und sein modellbasiertes Systems-Engineering (MBSE) weiterzuentwickeln, dessen Ziel darin besteht, Engineering-Systeme zu entwickeln und über den gesamten Produktlebenszyklus zu verwalten.

Viele Vorteile

Jedes Unternehmen, das an der Herstellung komplexer Produkte beteiligt ist, kann von einem funktionsfähigen MBSE profitieren: Zeitersparnis, eine verbesserte Zusammenarbeit und Investition. Bei dem Hersteller von Leitsystemen, Raketen und anderen komplexen Systemen kann ein Produktlebenszyklus über 15 Jahre lang dauern.

„Wir müssen alles dokumentieren, damit Teams, Neueinsteiger in ein Projekt und andere Beteiligte einfach auf wichtige Informationen zugreifen können, auch noch Jahre, nachdem ein Produkt entwickelt wurde“, erklärt Torfinn Tobiassen, Manager im Flight Structures Department.

Die Studierenden des Local-Hawk-Projekts müssen sich auch mit dieser Aufgabe befassen. Sie müssen nämlich Projekte fortführen, die von studentischen Teilnehmern der Vorjahre begonnen und dokumentiert wurden. “Sieben Wochen sind schnell vorüber. Man hat nicht die Zeit, das Rad neu zu erfinden, man muss einfach in sein MBSE schauen und da weitermachen, wo vorher aufgehört wurde“, sagt Gudrun Straand, eine Projektingenieurin für mechanisches Design.

PLM ist elementar

KDA arbeitet schon einige Jahre an seinem MBSE und wird wohl weitere drei bis vier Jahre mit der Feinabstimmung verbringen.

„Alles zu dokumentieren, kann teuer sein, es kostet mehr, als was dabei herauskommt. Man muss also eine einfache und schöne Lösung finden, die auch in der Zukunft gut funktioniert“, sagt Tobiassen.

PLM ist für KDA dabei ein elementarer Bestandteil dieser Lösung. PLM zielt ja normalerweise auf physische Güter ab, vor allem darauf, wie diese aussehen und wie sie gemacht werden. Bei KDA fallen aber viel mehr Informationen an: Anforderungen, Funktionen, Konzepte, an der Arbeit beteiligte Personen usw.

Statt also über verschiedene Datenbanken verstreute Dokumente und Dateien zu suchen, dienen (mit CATIA V6 erstellte) Komponenten in 3D-Bildern als Schnittstellen zu wichtigen Informationen. Man klickt also zum Beispiel auf das Bild eines Bugrads und greift auf alle Informationen zu, die mit der Entwicklung dieses Bugrads zu tun haben. Oder man klickt auf “Landung“ und es erscheint das Bugrad sowie sämtliche anderen Einträge, die etwas mit Landung zu tun haben.

Hochinteressant ist auch die Entwicklung, dass das MBSE-Modell auch dazu eingesetzt werden kann, Simulationstests durchzuführen. Im Projekt Local Hawk kann man damit Senkrechtstarts simulieren, ebenso wie den Übergang zum horizontalen Flug und die geplante Flugroute.

Projekte beschleunigen

Eine Dokumentation beinhaltet Tausende von Dokumenten und Dateien. Eine zentrale Herausforderung besteht dabei darin, wie man den Zeitaufwand des Dokumentierens möglichst gering hält, ohne dabei entscheidende Informationen zu verlieren. KDA testet zurzeit MBSE sowie Toyotas A3-Reports, die in der Schlanken Produktion eingesetzt werden. Bei Local Hawk wird der gesamte Dokumentationsprozess mithilfe von A3s und MBSE ausgeführt. Korrekturmaßnahmen, Analysen, Aktionspläne und andere Informationen werden auf einzelne DIN A3-Blätter Papier geschrieben. Viele Informationen würden sonst vielleicht verloren gehen, z.B. der Grund, warum bei einer bestimmten Komponente Aluminium und nicht Kohlefaser verwendet wird oder warum ein Radius 5 Millimeter betragen muss und nicht 7. Wenn A3s in reguläre Projekte von KDA implementiert werden sollen, dann fällt da eine riesige Informationsmenge an. In einem typischen Projekt schreiben 400 Ingenieure 15 Jahre lang wöchentlich zwei A3-Reporte. Das summiert sich zu Zehntausenden von Dokumenten. All diese Informationen werden in den Systemen CATIA V6 und ENOVIA V6 gespeichert und systematisiert.

Der Startschuss für Local Hawk fiel im Jahr 2008 und das MBSE-Projekt begann 2013. Nachdem 2013 in CATIA ein Systemmodell erstellt worden war, konnten die Studenten im Sommer 2014 erstmals die Dokumentation aus dem Vorjahr in einem MDSE-Modell in CATIA vorfinden und verwenden. “Sie konnten viel schneller loslegen als die Teilnehmer der Vorjahre. Dabei profitierten sie nicht nur inhaltlich von der früheren Dokumentation, wir haben ja auch schon festgelegt, wie und was dokumentiert wird, was auch in dieser Hinsicht den Prozess beschleunigte”, sagt Tobiassen.

Auf einem Feld in der Nähe von Oslo erhebt sich das kleine Flugzeug wie ein Hubschrauber direkt vom Boden. Es bleibt in der Luft stehen und fliegt vorwärts. Die Studenten sind begeistert von dem Erfolg.

Interview mit Ola Romundstad

PLM Team Manager und PLM Architekt beim norwegischen Rüstungsunternehmen Kongsberg Defence and Aerospace.